Die Erwerbslosigkeit in Spanien ist Anfang 2015 mit mehr als 24% die höchste innerhalb der Europäischen Union. Laut Angaben des Statistischen Landesamtes EPA sind im ausgehenden Jahr 2014 mehr als 6 Mio. Personen als erwerbslos gemeldet.
Als erwerbslos gilt eine erwerbsfähige Person zwischen dem 16. und 65. Lebensjahr, die kein Erwerbseinkommen besitzt. Unter ihnen befinden sich eine Vielzahl an Langzeitarbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Beschäftigung sind. Neben der krisenbedingten Erwerbslosigkeit leidet Spanien an einem strukturellen Problem, denn selbst in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwunges ist eine hohe Arbeitslosigkeit zu beobachten. Die spanische Arbeitsmarktkrise hat diese Tendenz verschärft und zu einer Schere in der Einkommensverteilung und in der Folge zu einer Ungleichheit an Erwerbschancen geführt. Seit dem Jahr 2008, dem Beginn der aktuellen Arbeitsmarktkrise, steigt die Erwerbslosigkeit innerhalb von zwei Jahren auf 20% und im Jahr 2012 auf mehr als 27% an. Bei den unter 25-jährigen erreicht sie im Jahr 2014 die 57,2%. Die Sorge um den Arbeitsplatz gehört zu den Themen, die die spanische Bevölkerung am meisten beunruhigt.
Ungleiches Einkommen unter Fachkräften
Der internationale Währungsfond IWF beobachtet eine fortschreitende Ungleichheit zwischen den Generationen. Während die ältere Generation noch in den Genuss unbefristeter und hoch dotierter Arbeitsverträge gekommen ist, gelingt es der jüngeren Generation kaum noch, eine unbefristete und gut bezahlte Beschäftigung zu erlangen. Die Regierung unter Mariano Rajoy hat im Jahr 2012 den Kündigungsschutz weitestgehend aufgehoben.
Jugendliche und junge Erwachsene erhalten Beschäftigungsverhältnisse mit geringerer Vergütung und Arbeitsplatzsicherheit. Diese Ungleichheit zwischen den Generationen, die sich auch in der unterschiedlich hohen Erwerbslosigkeit ausdrückt, hat, so der IWF, zu einer ungünstigen Produktivität bei den unter 25-jährigen geführt und zementiert die Ungleichheit zwischen den Erwerbsmöglichkeiten und den Vermögensverhältnissen.
Spanischer Arbeitsmarkt im europäischen Vergleich
Jahre unterschreitet die Erwerbslosenquote nicht mehr die 8%-Marke. Damit ist sie doppelt so hoch wie in Deutschland, England oder Frankreich.
Die Arbeitsmarktkrise in den 1990er Jahren betrifft 3,6 Mio Menschen, genauso viele wie in Deutschland, das nahezu die doppelte Anzahl an erwerbsfähigen Personen aufweist. Selbst in der Zeit des Immobilienbooms, der so genannten El-Dorado-Dekade, fällt die Erwerbslosenquote nicht unter die 11,5%, eine Quote, die in anderen Ländern der Europäischen Union nicht einmal in Krisenzeiten erreicht wird. Spanien leidet an einer strukturell hohen Erwerbslosigkeit, die sich unabhängig von konjunkturellen Schwankungen zeigt. Nur im Jahr 2007 wird die Zwei-Millionenmarke kurzzeitig unterschritten:
1,8 Mio Menschen sind ohne Erwerbsarbeit. Damit ist 2007 das Jahr mit der geringsten Erwerbslosigkeit in den letzten dreißig Jahren.
Die Regierungspartei PP (Partido Popular) unter Mariano Rojoy kommt zu dem Schluss, dass die strukturelle Erwerbslosigkeit durch die Senkung der Sozialabgaben, der Einkommenssteuern und dem Wegfall des Kündigungsschutzes überwunden werden kann. Jedoch blickt die vorletzte Regierung unter José Maria Aznar, ebenfalls PP, trotz hoher Steuern, Sozialabgaben und Kündigungsschutz auf eine steigende Beschäftigungsentwicklung zurück. In der Zeit zwischen 1994 und 2004 werden mehr als 5 Mio neue Arbeitsplätze geschaffen, die nach dem Platzen der Immobilienblase sukzessive wegfallen.
Noch in der Opposition bemerkt Rajoy gegenüber dem damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Zapatero, dass sich Spanien mit einer Erwerbslosenquote von mehr als 22% in der „Champions League“ der Weltwirtschaft befinde. Als Rajoy im Dezember 2011 die Regierungsgeschäfte übernimmt, gelingt es ihm jedoch nicht, die Erwerbslosigkeit zu senken. Im Gegenteil: im ersten Quartal des Jahres 2013 steigt sie auf die Rekordzahl von 27,16% an. 6.2 Mio Menschen befinden sich zu dieser Zeit ohne Beschäftigung.
Die Europäische Kommission stellt zusätzlich fest, dass die Erwerbsarbeit schlecht aufgeteilt ist. Während mehr als 20% ohne Job sind, leistet ein durchschnittlicher Arbeitnehmer 3,7 Überstunden pro Woche. Mehr als die Hälfte dieser Überstunden werden nicht abgebaut. So schlagen die linken Parteien Spaniens, Izquierda Unida, PSOE und die Kommunistische Partei, eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 40h auf eine 35-Stundenwoche vor. Jedoch bleibt die PP ihrem Kurs treu. Die Regierungspartei schlägt für das Jahr 2015 eine weitere Senkung der Einkommenssteuern vor.
Die Anhebung der Kaufkraft soll den spanischen Binnenmarkt beleben. Auch wenn im letzten Quartal 2014 die Anzahl an Menschen ohne Beschäftigung um 250.000 Menschen zurückgegangen ist, warnt der IWF im Januar 2015 vor einem langlebigen Erwerbsproblem, das man nicht durch die Aufweichung des Kündigungsschutzes und die Reduzierung von Steuern in den Griff bekommt. Für die nächsten zehn Jahre sagt er der spanischen Wirtschaft eine Erwerbslosenquote von über 21% voraus.
Strukturelle Erwerbslosigkeit
Für die dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit macht der IWF die Aufteilung zwischen den verschiedenen Wirtschaftsbereichen aus. Die stärksten Wirtschaftsbereiche sind der Bausektor und die Tourismusbranche. In diesen beiden Bereichen wird die Hälfte des spanischen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet: im Jahr 2008, kurz nach dem Beginn der aktuellen Arbeitsmarktkrise, werden 18% in der Bauwirtschaft, 21% in den Zulieferbetrieben der Bauwirtschaft und 11% im Tourismus erwirtschaftet.
Zum Vergleich: in Deutschland liegt der Anteil der Bauwirtschaft bei 4,8% der Wirtschaftsleistung, der Anteil des produzierenden Gewerbes jedoch bei mehr als 24%. In Spanien ist es umgekehrt und der Staat unternimmt keine Anstrengungen, die industrielle Produktion zu stärken. Vor der Krise ist das rasante Wachstum der Bauwirtschaft und die Illusion, dass es Spanien gut gehe, eine verlockende politische Alternative. Fast jeder Spanier hat durch den Erwerb von Immobilien und durch steigende Löhne Anteil am Wirtschaftswachstum. Daher zeigen sich die spanischen Regierungen unter Aznar PP und Zapatero PSOE immun gegen die Warnungen aus dem In- und Ausland. Durch die Bereitstellung neuen Baulandes und günstiger Kredite forciert man genau diesen Wirtschaftsbereich, so dass es nur noch ein Frage der Zeit ist, bis dieses System kollabiert. Im Jahr 2007 können Kredite nicht mehr bedient werden. Der Kapitalfluss stockt und Bauvorhaben werden mangels Liquidität eingestellt. Die Immobilienblase platzt und die Erwerbslosenquote steigt bis zum Jahr 2011 auf 23% an.
Damit sind 5 Mio Menschen ohne Erwerbsarbeit. Allein im Jahr 2009 verlieren im ersten Quartal 800.000 Menschen ihre Arbeit. Insgesamt fallen 3,8 Mio Arbeitsplätze weg. 2007 sind es noch 20,7 Mio Erwerbspersonen, im ausgehenden Jahr 2014 nur noch 16,9 Mio. Mit 750.000 Personen gehört davon ein Drittel zum Bausektor. Die hohe Erwerbslosigkeit sei laut IWF der Konzentration auf einen Wirtschaftsbereich geschuldet und solange sich die Wirtschaft nicht breiter aufstelle, werde das auch so bleiben.